Was ist Gewalt?

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Alexander Gottlebe  –  03.06.2020

Was ist Gewalt?

»Nicht mit Gewalt!« – Das ist ein Ausspruch, eine Aufforderung und Mahnung, den ich schon seit meiner frühen Kindheit gehört habe und den mit Sicherheit viele von uns verinnerlicht haben. Doch worauf bezieht sich diese Forderung, die wir auch in den Medien und der Politik immer wieder (ausgesprochen oder zwischen den Zeilen) wahrnehmen?


Gewalt ist ein abstrakter Begriff und viele Menschen, die ich erlebt habe, beziehen diesen Begriff nur auf die physische Dimension – auf körperliche Gewalt. Wir alle haben sie an irgendeiner Stelle in unserem Leben, meist schon sehr früh und zum großen Teil unbewusst erlebt und als unangenehm, wenn nicht sogar schmerzhaft erfahren. Und aus diesem Grunde möchten wir sie auch gern ablehnen. Doch was steckt denn noch alles in dem Begriff? Welche weiteren Formen von Gewalt gibt es, die wir nur indirekt und höchst unbewusst (aber dennoch wirksam) wahrnehmen?

Das Gedicht »Die Gewalt« von Erich Fried hat ein paar Beispiele in eine sehr poetische Form gebracht und hilft uns, Gewalt besser zu verstehen. Es gibt sie in zahlreichen Formen, doch nicht alle können diese Formen bewusst wahrnemen:

  • Es gibt seelische / emotionale Gewalt: Die erleben Kinder meist schon sehr früh, vor allem in Bezug auf ihre Mütter. Später erleben es Kinder in ihren Freundschaften und wir alle können es in vielen unseren täglichen Beziehungen erleben, da die Muster uns schon früh geprägt haben und wir sie unbewusst verinnerlicht haben.
  • Es gibt strukturelle Gewalt: Die können wir vor allem als soziale Wesen in der Gemeinschaft und als »Bürger« eines Staates wahrnehmen. Wir werden in soziale und strukturelle Zwänge gepresst, die unserem Wesen, unseren Bedürfnissen nicht gerecht werden. Wir erleben sie täglich, wenn alle Aspekte unseres Seins zu einem Ding gemacht werden, zu einer Ware, die auf einem abstrakten Markt gehandelt wird und für die ein Preis zu bezahlen ist. Wir erleben sie, wenn wir uns den Regeln, die »der Staat« aufstellt unterwerfen müssen, ohne einen ersichtlichen und sinnvollen Grund dafür. Menschen, die in finanzieller Abhängigkeit leben, erfahren sie im ständigen Kampf mit den Ämtern: Sie müssen alles bloßlegen, müssen sich für alles eine Erlaubnis einholen und sie erfahren immer wieder Ohnmacht gegen eine Bürokratie.

Das sind nur zwei Formen von ganz massiver Gewalt, die zwar stattfindet, unter der WIR ALLE (einige mehr, andere weniger) zu leiden haben und die damit Zwänge auf uns ausübt, die wir nicht erdulden wollen. WIR ALLE wollen – von Natur aus – frei sein von solchen Zwängen!

Doch in der öffentlichen Debatte, in der Politik und den Medien wird diese Form der Gewalt nicht thematisiert. Sie wird einfach ausgeblendet und statt dessen immer nur auf körperliche Gewalt fokusiert. Warum wohl? Liegt es vielleicht daran, dass das gerade die Form der Gewalt ist, die der Staat und seine Organe (zumeist gegen uns, seine Bürger) anwendet? Liegt es daran, dass man mit der Grausamkeit, die in dieser unsichtbaren aber schädlichen Form der Gewalt liegt dann vielleicht auch eine Gegengewalt, einen Widerstand begründen könnte und dieser Widerstand soll ja immer de-legitimert werden, also seine Angemessenheit und Notwendigkeit immer in Frage gestellt bzw. verneint werden?

Wenn aber uns diese Form der Gewaltausübung so sehr beeinträchtigt in unserem Menschsein und solche fatalen Folgen FÜR UNS ALLE, für die ganze Gesellschaft hat, dann müssen wir uns dieser Form der Gewalt bewusst werden. WIR ALLE müssen sie erkennen, ansprechen und wir müssen sie aufs schärfste verurteilen und uns endlich und nachhaltig von ihr befreien! Es ist an der Zeit, gesellschaftlich erwachsen zu werden und nicht länger die Gewalt »im eigenen Haus« zu ertragen! Bauen wir uns unser eigenen Haus (im Sinne von sozialer und solidarischer Gesellschaft)! Übernehmen wir die Kontrolle und die Verantwortung für unser eigenes Sein, für unsere Gefühle, unsere Gedanken, unsere Handlungen und bestimmen wir damit auch selbst unser Schicksal und die Gesellschaft!

Werden wir erwachsen und entwickeln uns als Menschen und Gesellschaft weiter!

Schaffen wir uns die Realität, das Utopia, das wir uns alle so sehr wünschen, weil wir es brauchen, um Mensch zu sein!


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